„Ohne Bedeutungsmantel werden Informationen zum Löschen freigegeben und sofort wieder vergessen“, beschreibt Neurobiologe Christoph Bornhauser, bekannt als Herr Bo, in seinen Vorträgen das selektive Lernen. Und verrät, wie wir lernunwürdige Inhalte mit Bedeutung aufladen und Künstliche Intelligenz als Ladestation nutzen können.
Von Mark Riklin
„Mal ehrlich, erinnern Sie sich noch an einen Grossteil dessen, was Sie in Schule und Studium gelernt haben?“, fragt Christoph Bornhauser (Bo) sein Publikum. „Weshalb vergessen wir so vieles, was wir mal mit viel Aufwand auswendig gelernt haben?“ Dafür gebe es einen einfachen, einleuchtenden Grund, sagt Bo: „Weil wir nur speichern, was für uns von Bedeutung ist. Was uns zu wenig relevant erscheint, wird zum Löschen freigegeben und sofort wieder vergessen.“ So funktioniere menschliches Lernen in seiner natürlichen Form.
KI als Bedeutungsgenerator
Schlussfolgerung aus dieser Erkenntnis: „Informationen brauchen einen Bedeutungsmantel aus persönlichen Erfahrungen, Interessen oder Leidenschaften, in den sie eingekleidet werden können. Künstliche Intelligenz kann uns als Bedeutungsgenerator in kürzester Zeit aufzeigen, welche Zusammenhänge und fächerübergreifenden Verbindungen zwischen einem auf den ersten Blick lernunwürdigen Inhalt und dem eigenen Interessenprofil besteht.“ Dadurch entstehe ein Bedeutungsmantel, der das natürliche Lernen anrege und autodidaktische Fähigkeiten aktiviere, sagt Bo.
Neue Zugänge zum ungeliebten Fach
Eine Probe aufs Exempel. Ein 14jähriger Junge kann sich im Französischunterricht kaum konzentrieren, immer wieder schwappt seine Aufmerksamkeit weg, das unangenehme Gefühl von Langeweile breitet sich aus. Bis ihn sein Coach ermuntert, die Schnittstellen zwischen dem „sinnlosen“ Lernstoff im Französisch mit seiner Leidenschaft Fussball zu ausfindig zu machen. ChatGPT intrapoliert aus dem Datenspeicher auf Knopfdruck neue Zugänge zum ungeliebten Fach: Fussballnachrichten auf Französisch lesen, die Biografie eines französischen Fussballstars recherchieren, das Franz-Vokabular mit der Fussball-Terminologie erweitern, Fussballspiele auf französischen Sendern verfolgen etc.
Interessenprofile als Voraussetzung
„Indem du die französische Sprache in den Kontext deiner Leidenschaft für Fussball integrierst, kannst du nicht nur effektiver lernen, sondern wirst auch mehr Spass dabei haben“, kommentiert ChatGPT die Ideenliste. Voraussetzung dafür ist ein Interessenprofil. Verschüttete oder noch verborgene Leidenschaften freilegen, kann KI nicht. Dafür braucht es die Qualitäten der Eltern, eines guten Freundes oder eines Coachs, der gemeinsam mit dem Coachee Wege entwickeln kann, um zu den eigenen Interessen, Neigungen, Leidenschaften und Träumen vorzustossen.