Das letzte Mahl im «Adler»


Von Mark Riklin


ERMATINGEN – Das Restaurant «Adler» in Ermatingen war einst die beste Adresse weit und breit. Seit drei Jahren ist die historische Gaststätte geschlossen. Ende Juni feierte das älteste Restaurant im Kanton Thurgau unter Leitung von Verena Spengler eine temporäre Wieder­eröffnung: Jugendliche der Futura, dem 10. Schuljahr am Talent-Campus Bodensee, servierten im «Adler» womöglich das letzte Mahl.

MARK RIKLIN

Schon von aussen hat der «Adler» eine majestätische Aus­strahlung. Der markante Riegelbau mitten in Ermatingen beherbergte bis 2019 ein beliebtes Restaurant, «ein sicherer Wert für Leute, die traditionelle Gerichte in gepflegter Atmosphäre schätzen», wie es in einer Gastro­kritik hiess. Vor drei Jahren wurde der «Adler» geschlossen. Ende Juni feierte das älteste Restaurant im Kanton Thurgau seine temporäre Wieder­eröffnung.

Spontaner Einfall

Sommer 2021. Als Urs und Silvia Nater das national geschützte Baudenkmal übernehmen, hat deren Tochter Vreni einen spontanen Einfall: eine temporäre Wiedereröffnung des Restaurants, vorüber­gehend geführt von Jugendlichen. Als Abschluss­projekt des Futura-Jahres am Talent-Campus Bodensee. Als Endpunkt des Future Skills Faden, der sich durch das Jahr ziehen soll.

Königsdisziplin

Gedacht, getan. Nach den Frühlings­ferien beginnen die Vorbereitungs­arbeiten. Als letzter Future Skill» steht mit «Unternehmer­geist» (Entrepreneurship) die Königsdisziplin auf dem Programm, die alle anderen Future Skills in sich vereinen und miteinander verbinden soll. Die Herausforderung: Ein stillgelegtes Restaurant von Null auf herauffahren, zum Leben erwecken und wiedereröffnen, wenigstens für einen Abend.

Ins Gelingen vertrauen

«Just because it’s hard, doesn’t mean it’s impossible”, lautet des Motto der Projektcrew. “You can do it», ist sie überzeugt. Schritt­weise nähern sich die Jugend­lichen all den Kompetenzen und Aufgaben, die es für ein solches Vorhaben braucht: Menuwahl, Einkauf, Preis-Politik, Zubereiten der einzelnen Gänge, Dekoration der Gaststuben, Entwerfen der Einladungen, Service-Schulung etc. Und von André Salamin, dem Gesamtleiter des TCB und langjährigen Hotelier, bekommen die Jugendlichen einen Gastgeber-Knigge-Crashkurs.

Stammlokal von Napoleon

Am Donnerstag­abend des 30. Juni ist es dann endlich soweit: Um 18:00 Uhr öffnet das Restaurant «Adler» für einen Abend seine Türen. 50 Gäste bitten um Einlass, um in den historischen Gaststuben Platz zu nehmen. Noch immer ist ein Hauch jenes Geistes spürbar, der geweht haben dürfte, als Louis Napoleon, der spätere französische Kaiser Napoleon III, vor über 180 Jahren während seiner Arenenberger Zeit hier zumindest zeitenweise sein Stammlokal hatte.

Lernen im Vorgriff

Der Restaurant-Betrieb läuft auf Hochtouren. Aline Brecheis (16) und ihr Team dekorieren in der Küche die letzten Salatteller, Dakota Masani (16) und ihre Service-Kolleginnen nehmen Bestellungen auf, während Luca Richard (16) seiner Verant­wortung als Mundschenk nachkommt. Der angehende Winzer-Lehrling, geht von Tisch zu Tisch, präsentiert mit einem «Schloss Cuvée» und einem «Pinot noir» erlesene Weine aus dem Weingut Burkhart in Weinfelden, seinem zukünftigen Ausbildungs­betrieb – eine Art «Lernen im Vorgriff», wie es ein Gast bezeichnet.

Toblerone-Tiramisu mit Erdbeeren

Versprochen ist ein Über­raschungs-Menu aus vier Gängen: Gemischter Salat und Flädlisuppe zum Einsteigen, ein Schweins-Nierstück an Morchel­sauce mit Härdöpfel-Stock und gedämpftem Gemüse als Hauptgang, und als Schluss-Bouquet ein Toblerone-Tiramisu mit Erdbeeren. Die Gäste sind wohlgelaunt, scheinen mit dem Gebotenen mehr als zufrieden. Besonders stolz ist das junge Gastroteam auf die alte Kasse, die sie extra für diesen Abend wieder in Betrieb genommen hat: «Hotel Adler, Auberge Napoleon», steht zuoberst auf der Quittung. Und zuunterst: «Einen schönen Abend wünscht Ihnen das coolste Futurateam.»

Zeitplanung und Detailpflege

Am nächsten Morgen ist Aufräumen angesagt. Und Rückblick halten. «Mir ist klar geworden, dass kleinste Details einen Unterschied machen können», sagt Dakota Masani (16), die im Sommer in St.Gallen eine Lehre als Detailhandels-Fachfrau beginnt. «Und wie wichtig die Zeitplanung ist», ergänzt Aline Brecheis (16): «Wir mussten bereits am Dienstag­mittag mit dem Gemüse­schnippeln beginnen, um die Teller am Donnerstag­abend rechtzeitig servieren zu können.»

Neuauflage im nächsten Jahr?

«Ein Restaurant zu führen, ist aufwändiger als gedacht, aber machbar», sagt Aline Brecheis (16), die im Sommer ans Gymnasium des Talent-Campus Zürichsee wechselt. Ein ermutigendes Fazit. Und auch Verena Spengler, die Initiantin und Projektleiterin, ist zwei Tage später noch immer im Flow. Die Gäste seien derart begeistert gewesen. Und spielt bereits jetzt mit dem Gedanken, das Experiment in einem Jahr mit der neuen Futura-Gruppe zu wiederholen.

Restaurant | Adler Ermatingen (adler-ermatingen.ch)